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Die Sommersonnenwende

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Kuppel mit einem LochUnter all den Sehenswürdigkeiten und Kuriositäten, die es in der berühmten gotischen Kathedrale von Chartres in Frankreich zu sehen gibt, weisen die Reiseführer besonders auf eine Öffnung im Kirchenfenster hin, durch die am 21. Juni, am Tag der Sommersonnenwende, bei Sonnenhöchststand ein Lichtstrahl auf einen im Boden eingelassenen Messingknopf fällt.

Dieses kuriose und etwas rätselhafte Phänomen ist hier jedoch weder wegen seiner symbolischen Bedeutung noch wegen seiner Funktion interessant, sondern dient allein dem Vergleich mit einem ähnlichen Phänomen, das in der Kirche San Leonardo di Siponto vorkommt.

Eines gleich vorweg: In San Leonardo erweist sich die Technik als viel ausgeklügelter und raffinierter als in Chartres. Um den Sonnenstrahl “einzufangen”, wurde nicht nur das dicke Gewölbe der Kirche durchbohrt, sondern der Lichtstrahl auch auf einen bedeutsamen Punkt ausgerichtet. In der Tat fällt der Lichtstrahl exakt zwischen die zwei Pfeiler, die dem Seiteneingang mit dem berühmten Portal an der Pilgerstraße gegenüberliegen.

Wer also dieses “astronomische Gerät” entwickelt hat, musste offensichtlich tiefer gehende Kenntnisse von den Bewegungen der Himmelskörper haben. Der unbekannte Urheber des Projekts musste zuerst den Punkt bestimmen, an dem der Lichtstrahl einfallen würde (wie er das gemacht hat, können wir jedoch nur vermuten, da wir nicht wissen, welche Methode er benutzt hat), danach musste er ermitteln, wo genau die Sonne mittags steht, und schließlich musste er beobachten, welche Position das Gestirn bei seinem Jahreshöchststand erreicht.

Als er dafür das Gewölbe der Kirche durchbohrte, hat er sich verhalten, wie wir es heute tun, wenn wir ein Teleskop auf einen bestimmten Stern ausrichten, mit dem Unterschied, dass wir die Ausrichtung berichtigen können, während der damalige Baumeister aufpassen musste, das Loch exakt zu bohren, um nicht einen falschen Punkt im Himmel anzuvisieren.

Seine Arbeit war allerdings weitaus präziser, da er das fertige Loch von innen mit einer als Blende funktionierenden, wunderschönen elfstrahligen Rose versehen hat (nicht von ungefähr hat die Fensterrose der Kathedrale Santa Maria Assunta in der benachbarten ehemaligen Bischofsstadt Troia auch elf Strahlen), damit sich das Licht der Sonne nicht im Raum verliert, sondern gebündelt auf dem Boden auftrifft, umgeben von leuchtenden Blütenblättern, die durch die Rose im Gewölbe eindringen. Ein echtes Meisterwerk, sowohl was die Technik als auch was die Eleganz betrifft, wahrhaft atemberaubender als das ähnliche Phänomen in der Kathedrale von Chartres.

Hier stellt sich die Frage, welche Bedeutung all dem eigentlich in einer Kirche zukommt? Es darf nicht vergessen werden, dass es unzählige Kirchen (San Petronio in Bologna, Santa Maria degli Angeli in Rom, den Mailänder Dom usw.) mit vollständigen Meridianen gibt. Diese dienen als Kalender, denn jeden Tag fallen die Strahlen der Mittagssonne durch ein Loch, das dem unterschiedlichen Sonneneinfall im Sommer und im Winter Rechnung trägt, und zeigen das jeweilige Datum auf einem Marmor- oder Messingstreifen an, der im Boden eingelassen ist.

Für die katholische Kirche ist es außerdem wichtig, die Tagundnachtgleiche im Frühling, nämlich am 21. März, präzise vorauszusagen, da sie zur Festlegung des Osterfestes notwendig ist. Ostern muss nämlich mit dem ersten Sonntag nach dem Frühlingsvollmond zusammenfallen.

Bei dem Meridian in Siponto handelt es sich jedoch weder um einen kompletten Meridian noch um einen, der lediglich die Tagundnachtgleiche anzeigt. Es handelt sich vielmehr um einen Lochgnomon in der Decke der Kirche, der nur die Sommersonnenwende kennzeichnet. Dieser könnte dennoch ein Instrument zur Berechnung der Zeit gewesen sein, da er einen bestimmten Tag markierte, von dem aus dann die restlichen Tage des Jahres berechnet werden konnten.

Für diese Hypothese spricht die Wahl des Punktes, auf den der Sonnenstrahl trifft und der sich genau in der Mitte zwischen den beiden Pfeilern vor dem Seiteneingang befindet. Dieser war also ein Fixpunkt, der nicht eigens mit einer besonderen Steinplatte gekennzeichnet werden musste, da die zwei Pfeiler naturgemäß unbeweglich sind und ihr Abstand immer gleich ist. Auch wenn die Steinplatten der Kirche ausgetauscht oder zerstört würden, wäre die theoretische Mitte der beiden Pfeiler unverändert, solange die Kirche als solche unversehrt bleibt.

Dieser Besonderheit wurde bisher noch nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt, wie ihr eigentlich zusteht, abgesehen von Cesare Brandi, der das Thema in seinem Werk “Pellegrino di Puglia” (zu deutsch etwa “Der Apulienreisende”) jedoch etwas oberflächlich behandelt hat. Dabei ist San Leonardo Zeugnis der herausragenden technischen Kenntnisse der Handwerker, die in Apulien tätig waren.

Der Zweck dieser Seite ist es, die Aufmerksamkeit der zuständigen Behörden zu wecken, die bisher eher durch Nachlässigkeit im Umgang mit diesem Kulturgut aufgefallen sind, sowie auch die der breiten Öffentlichkeit. Die Menschen von Apulien sind die Übermittler der Kultur und der großartigen Leistungen ihrer Vorfahren. Während in Chartres lediglich ein Messingknopf in den Boden eingelassen wurde, hängt in San Leonardo beim Seiteneingang eine Tafel, die auf das außergewöhnliche Ereignis nicht nur hinweist, sondern es auch ausführlich beschreibt.

Man kann das Lichtspiel jedes Jahr am 21. Juni zur Sommersonnenwende beobachten, und zwar zur astronomischen Mittagszeit in Siponto, also jenem Zeitpunkt, an dem die Sonne exakt über dem betreffenden Längengrad ihren Höchststand erreicht. Bei der Berechnung müssen also sowohl die Sommerzeit als auch die Zeitgleichung und der Längengrad berücksichtigt werden.

Übersetzung im Rahmen des Kurses Traduzione specializzata tra il tedesco e l'italiano I (modulo multimediale) an der Universität Bologna / SSLMIT Forlì